Wenn der Vatikan redigiert.
Das Vaterunser wurde optimiert und niemand hat’s gemerkt. Wieso das neue Wort zum Sonntag aber trotzdem einen zweiten Blick wert ist.
Als Dozentin für kreatives Redigieren halte ich immer Ausschau nach besonderen Spracheingriffen und was sie uns wirklich zu sagen haben. Beim Vaterunser, das ausser mir wahrscheinlich niemand mehr sprachlich wahrnimmt, da es die meisten Gläubigen einfach herunterbeten, ist ein Verb ausgetauscht worden. Bis jetzt nur im italienischen Gebrauch, aber doch mit internationaler Signalwirkung. Das sehr katholische „führe“ uns nicht in Versuchung wurde ausgetauscht mit „lass uns nicht allein“ in der Versuchung. Non abbandonarci gegen non indurci .
Bemerkenswert in der neuen Version ist, dass die Versuchung nicht mehr als vermeidbares Übel klassifiziert wird, sondern als Teil des Lebens. Es wird uns Katholiken erlaubt, die Versuchung zu versuchen. Der göttliche Beistand wird erst dafür erfleht, dass wir nicht zu lange dort bleiben mögen. Interessant nicht? Eine moderne Fehlerkultur könnte man dem Papst bestätigen, wäre da nicht der Teufel, der sich fragt, was für ein Ziel sich hier versteckt hat. Die jüngsten Sorgen betreffend gefallener Pfarrer und ihrem missbräuchlichem Verhalten kommen mir in den Sinn.
Der Austausch des Tunworts ist also nicht das Redigieren mit einem moderneren Synonym sondern hat mit Re-dirigieren und Sinnsuche zu tun. Man darf also zuerst versucht werden, um sich nachher wieder rein waschen zu können. All die theoretischen Versuchungen sind noch keine Sünden, und erst die Versuchungen, denen wir erlegen sind, machen einen Sündenfall konkret und korrigierbar. Das deckt sich mit echter Lebenserfahrung. Und auch mit meiner religiösen Lieblingspraxis, von der ich erfahren habe durch meine Lieblingsautorin Diana Gabaldon.
Im letzten höllisch einsichtsreichen Kapitel ihres Weltbestsellers Outlander ringt die Zeitreisende Claire um die Bedeutung von Vergebung mit einem sehr erleuchteten und modernen Ordensbruder. Der herzensgute Mann erklärt es ihr so: Um Vergebung einer Sünde zu erfahren braucht es zwei Einsichten. Erstens: Man muss die Sünde begangen haben im vollen Wissen, dass es eine Sünde war. Und zweitens: Man muss die eigene Sünde akzeptieren, von ganzen Herzen bereuen und wirklich um Vergebung bitten. Da man diesen Fall weder von oben, noch von unten, noch von aussen beurteilen kann, sondern nur von innen, ist göttliche Vergebung eine sehr private Sache und mein Gefühl das einzige Richtmass für unsere Absolution.
Ein für mich durch und durch wundervoller Gedanke.